Von Tuten,Täten und verdrückten Tränen

Neulich habe ich im Kundenmagazin von „DM“ gelesen, dass der Gründer und Aufsichtsrat der Drogerie, der Herr Prof. Götz W. Werner, das Lesen von Romanen für keinen „Beitrag zu einer ‚Sozialen Plastik‘ als gemeinsames Kunstwerk“ (Januarausgabe alverde, S. 33) hält. Aktiv Aufgaben zum Wohle aller zu übernehmen wäre viel wichtiger. Man könnte „Lesestunden in Schulen“ anbieten oder „Jugendarbeit“ leisten. Wo er Recht hat, hat er Recht. Und doch fragt sich warum fast jeder lieber einen guten oder schlechten Roman liest.

„Ich habe ja kaum Zeit für mich selber.“

Wer mit sich selbst genug zu tun hat wird wahrscheinlich nur selten über einen zusätzlichen gesellschaftlichen Beitrag zum ohnehin schon anstregenden Arbeitsleben nachdenken. Wenn die Feiertage vorbei sind und der Urlaub nur noch eine schöne Erinnerung ist, dann werden euphorische Ideen meist schneller vom Alltagstrott verdrängt als man den ersten Handschlag tun konnte.

Hat man nicht selbst genügend Ziele, Wünsche und Visionen, die irgendwann erfüllt werden möchten? Wie das gute Buch, dass man mal angefangen hat, aber inzwischen vergessen auf dem Nachttisch unter zwei weiteren einstaubt. Nochmal von vorn anzufangen wäre schon beinahe unwirtschaftlich.

Das alte Lied vom Handeln

Darüber habe ich heute nachgedacht, als ich angefangen habe für meine letzte Klausur zu lernen. Ich lese Romane, weil in ihnen Dinge passieren, die ich in meinem eigenen Leben selbst nicht habe, weil sie schöne Geschichten erzählen, die mitreißen, entführen. Ich lese viel auf Bahnhöfen und im Stehen in der Bahn. Öfter noch lese ich meine Weltverbesserungsbücher und frage mich, was ich von diesem oder jenem halte. Gedanklich mache ich öfter mal einen Spagat, aber physisch muss ich mich dafür nicht vom Fleck bewegen. Tatsächlich zu handeln fällt schwer, sehr schwer.

Als ich dann aufgestanden bin, um mir einen Kaffee zu machen, zuckte es wieder im unteren Rücken. Ja, ich habe Rücken mit Mitte Zwanzig. Ich sitze zu oft. Ich weiß nicht wie lange ich dann dafür gebraucht habe mich dafür zu entscheiden spazieren zu gehen. Nur des Spazieren wegens. Seit Wochen bin ich nicht am Wasser gewesen, das hier ganz in der Nähe ist. Wege enden eher in Supermärkten, auf Bahnhöfen und in Wohnungen.

Ich bin dann aber doch losgelaufen. Weil ich mal handeln wollte, Und nicht nur lesen wollte wie jemand handelt oder nur darüber nachdenken wollte, dass ich irgendwann mal wieder runterlaufen möchte, um dann schließlich doch was „Wichtigeres“ zu tun zu haben. Sogar als es ziemlich dunkel am Himmel wurde, bin ich weitergelaufen. Fast hätte ich mich gefreut, wenn es so richtig angefangen hätte zu regnen und ich pitschnass geworden wäre. So abenteuerarm ist der Alltag manchmal.

Schnief

Als ich dann endlich angekommen war, war es noch viel schöner als ich es in Erinnerung hatte. Ganz still lag der See da, nur ein paar Möwen zankten um Essbares. Es war einfach ruhig. Wie still die Erde ohne uns wäre. Obwohl ich den Drang verspürte nur einen kurzen Blick auf diese riesige Platte, gesäumt von grauem Geäst, zu werfen und schnell wieder zu verschwinden, um bei ein paar anderen Suchenden keinen komischen Eindruck zu erwecken, bin ich geblieben. Ich habe mich ans Ufer gestellt und nur geguckt. Kann es sein, dass man sich manchmal für seine Menschlichkeit schämt und deswegen seltener Menschliches tut? Getraut im Angesicht dieses Naturschauspiels zu weinen hätte ich mich nicht. Obwohl mir danach gewesen wäre. Darum lese ich lieber davon, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Werner.